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Geschrieben von Christian Blaue am 08.04.2022

Interreligiöser Tag in Bielefeld



9. Jahrgang besucht Bielefelder Synagoge, Moschee und Kirche

Am 7. April besuchten alle Klassen des 9. Jahrgangs unserer Schule die drei Gottes- und Versammlungshäuser der großen monotheistischen Religionen, um religiöse Vorurteile abzubauen, kritische Fragen zu stellen und die Religionen einmal authentisch erfahren zu können.

Mit dem Zug fuhren alle Klassen gemeinsam nach Bielefeld, von wo aus dann jeweils zwei Klassen gemeinsam die verschiedenen religiösen Versammlungsorte besuchten. Die Schüler*innen hatten viele Fragen mitgebracht, vor allem die Haltungen der Religionen zu Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau und Akzeptanz von Homosexualität spielten dabei eine wichtige Rolle. Es wurden mitunter auch Antworten gegeben, mit denen sich nicht alle Schüler*innen identifizieren konnten, doch gerade darum sollte es an diesem Tag gehen. Es war ein Rahmen dafür, gesellschaftliche Themen aus religiöser Perspektive kritisch zu betrachten.

Die vielleicht wichtigste Erkenntnis des Tages war dabei, dass es auch innerhalb jeder Religion verschiedene Antworten auf entscheidende Fragen gibt. So lernten die Schüler*innen zum Beispiel, dass es im Judentum die drei Strömungen orthodox, konservativ und liberal gibt. Die Bielefelder Gemeinde ist dabei der liberalen Ausrichtung zuzuordnen und behandelt daher z.B. Männer und Frauen gleich. Frauen haben also hier die Möglichkeit, Rabbinerinnen zu werden. Besonders beeindruckend war zu sehen, dass die Bielefelder Synagoge 300 Jahre alte Tora-Rollen besitzt, die zum Teil aus dem Feuer der Brände während der Reichspogromnacht gerettet wurden. Auf Özhans Frage, wie teuer eine dieser Schriftrollen ist, bekam er deshalb die Antwort „unbezahlbar“.  

In einer gemütlichen Atmosphäre durften wir uns auch eine Moschee angucken und dabei Fragen zu den einzelnen Elementen in und an einer Moschee stellen. Dabei stellten die Schüler*innen Gemeinsamkeiten zu den anderen Gotteshäusern fest. Auch der Islam lebt in seiner Tradition davon, dass Gelehrt*innen miteinander in Austausch treten und versuchen, die Worte Allahs zu deuten. Auf die Frage, wie der Islam zu den Terrororganisationen stünde erläuterte Herr El Hamdaoui: 
„Der sog. „Islamische Staat“ betreibt eine intensive Propaganda, um gezielt junge Menschen zu rekrutieren. Nebst dieser Art der Rekrutierung versuchen vor allem gewaltbereite Salafisten, Jugendliche durch verlockende Versprechen, wie Anerkennung und Zusammengehörigkeit für sich zu gewinnen. Hiesige Theolog*innen sowie Islamwissenschaftler*innen sind sich darüber einig, dass einer vermeintlich religiös bedingten Gewaltbereitschaft jugendlicher Salafisten ein Prozess der Radikalisierung vorangeht.  Diese manifestiert sich vor allem in der Art der Rekrutierung bzw. Adaptierung radikalem Gedankenguts. Diese rekrutierten Jugendlichen lassen sich zumeist als religiös-theologische Analphabeten klassifizieren und stammen aus verschiedenste Milieus der Gesellschaft. Dieser religiös-theologischer Analphabetismus, gepaart mit einem Gefühl gesellschaftlicher Ausgrenzung, macht Jugendliche für radikale Propaganda empfänglich, da diese eine ähnliche Sozialstruktur nachweisen. Eine vermeintliche Authentizität von Predigern, ihre symbolträchtige Sprache und die Verbildlichung ihrer Ideologie wirken anziehend auf Jugendliche, die Stigmatisierungen ausgesetzt sind. Ebenfalls kennzeichnend für radikales Gedankengut ist die Formulierung dichotomer Weltbilder, in denen deutlich zwischen richtig und falsch unterschieden wird.  Generell formuliert lassen sich radikale Bewegungen oder Terrororganisationen weniger auf eine besondere Attraktivität islamischer Gelehrsamkeit, als vielmehr auf eine allgemeine Sinnkrise, bedingt durch gesellschaftliche Transformationsprozesse und der Suche nach der eigenen Identität, zurückführen. Das von den Terroristen propagierte Gefühl der moralischen Überlegenheit, stärkt nicht nur das „Wir-Gefühl“, sondern führt lediglich zum Denken im Kollektiv, was eine fundierte Auseinandersetzung mit den programmatischen Inhalten der Bewegung als individuelles Mitglied nahezu unmöglich macht.“

Nicht nur für die Opfer dieser Verbrechen, sondern auch für Muslim*innen ist das ein großes Problem, da sie dadurch seit einigen Jahren immer wieder unter Generalverdacht stehen, einer Religion anzugehören, die Gewalttaten befürwortet und somit selbst Opfer von Anfeindungen werden.

In einer der ältesten Kirchen Bielefelds, der Neustädter Marienkirche, erfuhren die Schüler*innen dann, dass auch im Christentum die Antwort auf religiöse Fragen oft davon abhängt, wen man fragt. Während in der katholischen Ausrichtung zum Beispiel nur Männer Papst werden oder bestimmte Ämter ausüben können, dürfen in der evangelischen Strömung, der die Marienkirchengemeinde angehört, auch Frauen alle Ämter bekleiden. Innerhalb dieser Religion führte die Abspaltung der evangelischen von der katholischen Kirche als Reaktion auf die von Martin Luther veröffentlichten Thesen dazu, dass in Europa ein blutiger Krieg geführt wurde. 

Gerade die Tatsache, dass vermeintlich im Namen (nicht nur)dieser drei Religionen immer wieder Kriege geführt und Verbrechen begangen wurden, zeigt, wie wichtig es ist, z.B. im Rahmen eines solchen Tages festzustellen, dass die Kernbotschaft aller Religionen das friedliche Miteinander istund das Anwenden von Gewalt mit keinem Glauben in Einklang steht. Unterschiedliche Antworten auf gesellschaftlich relevante Fragen finden wir seit jeher nicht nur zwischen, sondern auch innerhalb der einzelnen Religionen. Umso wichtiger ist es, einander zuzuhören und im Gespräch zu bleiben. Letztendlich gehen die drei Religionen, die an diesem Tag im Mittelpunkt standen, schließlich allesamt auf die Propheten um Abraham und Mose zurück und haben somit die gleichen Grundgedanken, wie etwa die 10 Gebote.

Frithjof Brinkmann & Mohamed El Hamdaoui